Einige Zeitungsartikel der letzten Jahre
Frankfurter Neue Presse vom 09.10.2004
Von den Schikanen gegen Fußballfans
Bockenheim.
Bei der Buchmesse bekommt der Sport-Leser derzeit die Lebensweise von
brasilianischen Fußball-Zauberern präsentiert. Selbst das legendäre
WM-Finale von München zwischen Deutschland und den Niederlanden ist drei
Dekaden nach Hölzenbeins bahnbrechender Schwalbe wieder ein Thema. Auch in
der alternativen Veranstaltungsreihe zur Buchmesse unter dem Titel «Gegen
Buch Masse» steht der Fußball im Blickpunkt. Doch nicht den kickenden
Protagonisten, sondern den treuen Anhängern aus der Kurve wird Aufmerksamkeit
geschenkt.
Zwei Jahre haben Fußballfans kleine und große Geschichten zusammengetragen.
Teils sind sie amüsant oder gar grotesk, aber immer beinhalten sie repressive
Aspekte. Unter dem Titel «Die 100 ’schönsten’ Schikanen gegen Fußballfans»
hat das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) ein Werk veröffentlicht, in dem
die andere Seite der Medaille gezeigt wird: Der Fan nicht als Gewalttäter,
sondern als Opfer von Gewalt. Mit dem Buch und sonstigen Protestaktionen hätten
Fußballfans «ein Zeichen gesetzt, dass sie sich nicht alles gefallen lassen
und sich auch zur Wehr setzen», brachte Jörg Höfer vom BAFF bei der Lesung
in der Gaststätte «Zum Tannenbaum» die Meinung vieler Fans zum Ausdruck.
Der Siegener meinte damit, dass in den vergangenen Jahren Ordnungsmaßnahmen
intensiviert worden seien, die von Fans als «Repression und Willkür»
wahrgenommen würden.
Derweil machten unter den Zuhörern auf schwarzen Tafeln vergrößerte Fotos
die Runde. In Fankurven sind überdimensional große Transparent zu sehen: «Willkür,
Schikane und Kommerz - da blutet unser Herz», beklagen die Fans und fragen
polemisch: «Hat der Fan hier (im Stadion, d. Red.) noch Rechte ?».
Höfer, Michael Gabriel (Koordinationsstelle Fanprojekte), Antje Hagel
(Fanprojekt Offenbach) und Matthias Thoma (Fanprojekt Frankfurt) stellten
indes weiter ausgewählte Erlebnisgeschichten aus dem Buch vor. So berichtet
ein Berliner, dass vor einem Spiel in Stuttgart er und seine Freunden sich bis
auf die Unterhose ausziehen mussten, ehe sie Eintritt ins Stadion erhielten.
Fans von Hessen Kassel mussten in Darmstadt eine Landesfahne von Burkina Faso
vom Zaun hängen, da Polizisten diese als Banner der Roten Armee Fraktion
(RAF) einstuften. Und einer Gruppe deutscher Fans wurde die Ausreise in die
Niederlande verweigert, obwohl sie gar nicht in der Datei «Gewalttäter Sport»
aufgenommen worden seien.
Höfer brachte die Empörung auf den Punkt: «Uns sollte eigentlich der Rote
Teppich ausgebreitet werden.» Doch zumindest dies ist auf jeden Fall
illusorisch. (fri)
Frankfurter Rundschau vom 09.10.2004
Eintracht- und OFC-Fans arbeiten zusammen
Frankfurt a. M. · 8. Oktober · prmp · Ein Treffen von Fans der Frankfurter Eintracht und der Offenbacher Kickers? Viele glauben, dabei müssten zwangsläufig Aggressionen aufkommen. Manchmal aber ist es doch möglich, dass Fans von stark rivalisierenden Fußballteams gemeinsam einen ruhigen Abend verbringen. Vor allem dann, wenn sich ihre Interessen vereinen.
So geschehen am Donnerstag in der Gaststätte "Zum Tannenbaum" in Frankfurt. Dorthin hatten die Fanprojekte Frankfurt und Offenbach im Rahmen der Reihe "Gegen BuchMasse" zu einer Lesung des Buchs "Die 100 ,schönsten' Schikanen gegen Fußballfans" eingeladen. Das Werk, das das Bündnis aktiver Fußballfans herausgegeben hat, beinhaltet Erlebnisberichte einzelner Fans aus Stadien, der Schwerpunkt liegt auf Konflikten mit Ordnern und der Polizei. Von solchen Begegnungen können auch Anhänger der Eintracht und des OFC berichten, "das lässt sie sicherlich auch mehr zusammenwachsen", erklärte Jörg Höfer, Vertreter des Bündnisses der Fußballfans.
Aktuell ist das Buch allemal, gab es doch erst nach dem Spiel der Eintracht bei Rot-Weiß Essen am Freitag vergangener Woche massive Ausschreitungen. "Da waren leider auch Offenbacher mit dabei", sagte Stephan von Ploetz, Mitarbeiter des Fanprojektes Frankfurt. Dass Fans von unbeteiligten Mannschaften zu Risikospielen anreisen, um zu randalieren, lasse sich nicht vermeiden. Antje Hagel vom Fanprojekt Offenbach wollte den Auftritt von OFC-Fans in Essen nicht bestätigen."Die Vorfälle in Essen entsprechen aber überhaupt nicht der Entwicklung der Fanszene", so von Ploetz. "Solche Ausschreitungen werden immer weniger." Es sei ein Fehler zu glauben, Gewalt und Fußball würden sich wieder annähern.
Antje Hagel bezeichnete die Zusammenarbeit der beiden Fanprojekte als problemlos. "Das sind professionelle Einrichtungen. Wir haben schon häufiger zusammengearbeitet." Die Organisationen wollen Fans dazu bewegen, "über ihren Schatten zu springen" und Gruppen, die mit ihnen rivalisieren, zu akzeptieren.
Erscheinungsdatum: 13.10.2003
Frankfurter Neue Presse vom 13102003 Lokales
Autor präsentiert neues Buch: Juden im deutschen Fußball
Die älteren unter den Eintracht-Fans werden sich bestimmt noch daran erinnern, wenn auch ungern. Als "Juddeclub" wurde mitunter ihr Verein von den Gegnern beschimpft, gerade in den heißen Derbys gegen die Offenbacher Kickers. Ähnliche Szenarien spielten sich auch bei Fußballspielen in den 20er Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg in Wien, Budapest, Prag und Amsterdam ab, wenn jüdisch geprägte Vereine dem Ball nacheiferten. Dietrich Schulze-Marmeling hat sich dieses Phänomens angenommen. Innerhalb der Veranstaltungsreihe "Gegen Buch Masse" stellte der Herausgeber von "Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball" sein Werk im "Café ExZess" vor. Es war kein Zufall, dass 1932, im letzten Endspiel um die deutsche Meisterschaft vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, zwei Vereine aufeinander trafen, die von jüdischen Bürgern geprägt wurden. Beide Vereine, Eintracht Frankfurt und Bayern München, strebten seinerzeit die Professionalisierung des deutschen Fußballballsports an. Großer Förderer der Eintracht, meinte Schulze-Marmeling, war das Schuhimperium J. & C. A. Schneider mit Sitz an der Mainzer Landstraße. Die Besitzer waren die jüdischen Bürger Fritz und Lothar Adler und Walter Neumann. Sie versprachen guten Fußballern Arbeit und lotsten sie nach Frankfurt. So auch Rudi Gramlich, der in den 50er und 60er Jahren der Eintracht vorstand. Auch Eintrachts Schatzmeister in den 20ern, Hugo Reis, war Jude. Nachbar FSV Frankfurt hatte in dem Arzt David Rothschild (1924-29) und Alfred Meyers (29-33) sogar Juden als Präsidenten. Doch das Unterfangen, professionelle Strukturen aufzubauen, so wie in Ungarn, Österreich und der Tschechoslowakei, endete 1933 jäh. "Die Nazis störten sich am Profitum, dies wurde als dekadent angesehen", sagte Schulze-Marmeling, und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) lag von dieser Anschauung "nicht weit auseinander". Der Fußball galt für die Juden bis zum Ende der Weimarer Republik, so Schulze-Marmeling, "als Integrationssport Nummer eins". Ab 1933 gab es für Juden jedoch nur noch die Immigration als einzigen Ausweg, um nicht dem Terrorregime zum Opfer zu fallen. Das galt auch für Max Behrens, einer der führenden deutschen Sportjournalisten. Behrens, der als "dicker Max" bekannt war, schrieb für den Frankfurter Generalanzeiger und die Frankfurter Zeitung, dem Vorgänger der FNP. 1939 floh Behrens in die USA. Als Deutschland wieder eine Demokratie war, kreuzten sich wieder die Wege von Behrens und der Eintracht. Das "wandelnde Fußballlexikon" beteiligte sich 1951 an der Organisation einer USA-Tour der Riederwälder. Und fungierte als Sonderberichterstatter für die Frankfurter Presse.(fri)
Frankfurter Rundschau vom 10.10.2003
Gegenbuchmasse Keine Chance für den Neonazi-Sumpf
Frankfurt · 9. Oktober · düp · Frankfurt ist für Rechtsradikale ein schlechtes Pflaster. Die typische Rechtsrock-Szene könne hier nur schwer Fuß fassen, berichtete Michael Weiss, einer der Autoren des 500-Seiten-Wälzers "Rechtsrock" (Unrast-Verlag) bei der "Gegenbuchmasse" am Donnerstagabend in der Katharinenkirche. Der neonazistische Sumpf traue sich in Frankfurt kaum öffentlich aufzutreten - es gebe zuviel Gegenwehr in einem traditionell gewachsenen multikulturellen Umfeld. "Sie brauchen Ruhe, um ihren rassistischen Mief zu entwickeln, die bekommen sie hier nicht", analysiert Michael Weiss. Zudem gebe es eine vergleichsweise niedrige Eingriffsschwelle der Polizei - im Gegensatz zu einigen ostdeutschen Städten, wo die Polizei bisweilen gelassen bei propagandistischen Kameradschaftstreffen zuschaue: "Weil eventuell der Sohn des Polizeichefs selbst in der Rechtsszene verkehrt." In Frankfurt könne die Szene auf keine Lobby bei Ordnungskräften rechnen. Entwarnung sei dennoch keineswegs angesagt, entspannt zurücklehnen könne man sich nicht. Frankfurter Neonazis wichen ins Umland aus, manchmal gar nicht weit. In irgend einem Kneipen-Hinterzimmer richteten sich dann plötzlich Nazi-Cliquen ein, und vertrieben selbstgebrannte CDs mit indiziertem Nazi-Rock - in diesem Sommer etwa in Bad Nauheim. Nicht nur in Hinterzimmern breiteten sich derartige Propaganda-Veranstaltungen aus. Vermeintlich brave Schulkinder, für die ihre Lehrer die Hand ins Feuer gelegt hätten, seien keineswegs außen vor. Kürzlich hätten etwa hessische Lehrer nach der Aufforderung an die Schüler, einmal ihre Lieblings-CDs mitzubringen, ihr blaues Wunder erlebt: So genannter "Nazi-Pop" mit finster rassistischen Texten tauchte gleich mehrfach auf.
Frankfurter Rundschau vom 15.10.2002
Gewaltfreiheit im Islam - nur eine Frage der Interpretation?
Religionskritische Debatte über Huntington’s "Kampf der Kulturen" und das muslimische Gesetz der Gemeinsamkeit
Eine religionskritische Debatte im Bockenheimer Café Exzess befasste sich am Sonntagabend mit dem Spannungsverhältnis von Islam und Pazifismus. Aus Anlass der "Gegen Buch Masse" und im Rückblick auf die Vorfälle des 11. September letzten Jahres und seine Folgen stellte Gernot Lennert die entscheidende Frage: "Inwieweit begünstigt oder behindert der Islam Pazifismus, Antimilitarismus und Kriegsdienstverweigerung?". Lennert ist Autor des Sammelbands "Islam und Islamismus aus friedenspolitischer Perspektive", der in Kürze im Alibri Verlag erscheinen wird. Lennert erwähnte einen muslimischen Kriegsdienstverweigerer deutscher Staatsangehörigkeit, der sich bei seiner Begründung auf die Bergpredigt berufen habe. Denn Jesus sei schließlich auch ein vom Islam anerkannter Prophet. Auf die weite Interpretierbarkeit des Korans, der durch die Hadithe, Überlieferungen aus dem Leben des Propheten Muhammad (um 570 bis 632), ergänzt werde, verwies auch Verlagsleiter und Co-Autor des Buches, Gunnar Schedel. Zahlreiche Rechtsgelehrte gebe es, nicht wie etwa im Katholizismus nur eine Autorität, den Papst, so sein Religionsvergleich. Das stark betonte Gesetz der Gemeinschaft im Islam führe jedoch zur Ausgrenzung derjenigen, die sich nicht bekennen wollen, so Schedel weiter. Insofern sei nur ein beschränkter Pluralismus möglich. Deshalb suchten auch islamische Frauenorganisationen stets nach verschütteten Quellen ehemaliger Zeitgenossen Muhammads, um eine Rechtfertigung für ihre Emanzipationsbestrebungen zu finden. Lennert betonte: Unterschiedliche Interpretationen des Friedensbegriffes müsse man genau unter die Lupe nehmen. So existiere etwa die Auslegung, "Frieden ist, wenn überall der islamische Frieden herrscht". Einigkeit herrschte unter den Diskutanten im Exzess, dass Theoretiker wie der amerikanische Politologe Samuel Huntington, der seit dem 11. September Hochkonjunktur hat und eine "Ära der muslimischen Kriege" prognostiziert, kontraproduktiv seien. Dessen These vom "Kampf der Kulturen" könne als sich selbst erfüllende Prophezeiung fungieren, warnte Lennert. Er präsentierte eine der sensationsheischenden Boulevard-Thesen Huntingtons: "Was schließlich für Menschen zählt, ist nicht politische Ideologie oder ökonomisches Interesse. Glaube und Familie, Blut und Überzeugung sind es, womit sich Menschen identifizieren und wofür sie kämpfen und sterben werden." Das Fazit der Diskussion gestaltete sich getreu dem Motto, das an der Wand im Café Exzess prangt: "Stell Dir vor, es geht, und keiner kriegts mit." Wer den Islam gewaltfrei interpretieren wolle, müsse sich eben etwas Mühe geben. Die Rastas hätten aus dem "Holy Book" sogar die Berechtigung für ihren Cannabis-Konsum herauslesen können. Zwar nicht sehr detailliert, aber irgendwo habe sich ein Satz gefunden: "Gott hat das Kraut wachsen lassen." Homosexuelle seien ständig auf der Suche nach Bestätigung in der Bibel gewesen, so Lennert. Ein "Lass doch mal die Bibel weg, sagt doch einfach, wir sind für die Homosexualität", sei für sie nicht akzeptabel gewesen. "Sie sind Christen und wollen es in der Bibel lesen." Lennerts Schlussfolgerung: "Ist das Interesse da, den Koran auf Gewaltfreiheit zu interpretieren, dann wird das von den Moslems gemacht."
Autorin: Gitta Dueperthal
Frankfurter Rundschau vom 14.10.2002
Kauderdeutsch Ze do Rock liest im Café Exzess auf "siegfriedisch"
Was für ein Typ mag bloß dahinter stecken? Wer in Ze do Rocks im Antje Kunstmann Verlag erschienenes Buch Deutsch gutt sonst Geld zuruck reingeschnuppert hat, ist gespannt wie ein Flitzebogen. Wer bloß produziert solch herrliche Pointen über absurde Juristereien und Behördengänge? Etwa jene, in der der Autor berichtet, wie er dereinst - während er "im sprungbeuteltierländischen Busch" (will heißen: Australien) verweilte - sein eigenes Kind habe verklagen müssen. Weil es den falschen Namen trug. Erzeuger sei nicht er, sondern sein Nachfolger bei seiner Frau gewesen. Zwar seien sich alle Beteiligten einig gewesen, aber wie die Deutschen so sind: Es habe einen Richter und zwei Anwälte gebraucht... Wer meint, die Sache mit dem "sprungbeuteltierländischen Busch" könne abwertend gemeint sein, irrt. Ze do Rock ist eine sich quer zu allen Regeln der Kunst, vor allem aber zur deutschen Sprache stellende Persönlichkeit. Seine Lieblingsbeschäftigung ist, diese bis zur Kenntlichkeit zu karikieren. Das nennt er "siegfriedisch" oder "kauderdeutsch". Kostprobe: "Vileicht sind el auslandico deutshis irgendwann so integriert, das es unter inen weniger arbeitslose gibt denn bey de reinrassige deutshis... Das wird einige deutshis noch mer erger, weil se nich einseen, das arbeitslosigkeit kein problem is, das durch die anwesenheit von auslandis entsteht, sondern durch rationalisirung, globalisirung und andere irungen." Da stand er nun am Samstag abend im Café Exzess in der Leipziger Straße und verunglimpfte zum großen Vergnügen der Veranstalter der "Gegen Buch Masse" die deutsche Sprache. Für seinen lustvoll auf japanisch vorgetragenen Protest über deren grammatikalische Unwegsamkeiten gab es zustimmenden Applaus vom Publikum, das sich mangels ausreichender Sitzgelegenheit auch auf den Fensterbänken vor Lachen krümmte. Die Claqueure waren keineswegs nur durchgeknallte Sprachfreaks oder Faulis (Faultiere). Jene Zeitgenossen, die schon immer klammheimlich auf die von Ze do Rock proklamierte Sprachvereinfachung gewartet haben. Etwa weil, wie dieser zum Besten gab, ein Komma dann - wie bisher zwar auch - nach Gefühl gesetzt werden könne, aber endlich ohne schlechtes Gewissen. Es ist eine einzigartige Literaturshow, wenn Ze do Rock seinen Mix aus Dadaismus, Scharfzüngigkeit und Humor präsentiert. Und Sätze sagt wie "In der Klanghüpfhalle hörten wir die würzigen Mägde und tranken verschiedene Hahnenschwänze." Auf deutsch: "In der Disco hörten wir die Spice-girls und tranken verschiedene Cocktails." Kritikerurteil auf siegfriedisch: Man muss nicht erst ein Rauschkrautstäbchen (einen Joint) geraucht haben, um das lustig zu finden.
Autorin: Gitta Düperthal
Frankfurter Rundschau vom 12.10.2002
LOK Neuer Schwung durch Unzufriedenheit mit der Regierung
"Gegen Buch Masse": Madgjiuène Cissé beschreibt Bewegung der Sans Papiers in Frankreich - und ein Stück eigenes Leben
Geblendet vom Scheinwerferlicht der Fernsehkameras tauchen am 18. März 1996 plötzlich, wie aus einem Tunnel, 300 Afrikaner auf und fordern ihre Legalisierung, als sei dies das Selbstverständlichste auf der Welt", so beginnt Madjiguène Cissés Buch "Papiere für alle - Die Bewegung der Sans Papiers in Frankreich", erschienen im Verlag Assoziation A. In Paris wurde die erste Kirche besetzt, und die Bewegung breitete sich in kürzester Zeit in ganz Frankreich aus. "Seitdem bestehen die ,Sans Papiers’ in Frankreich, lebendig wie eh und je", sagt die bekannte Wortführerin der Bewegung, Cissé. Und das, obgleich man unter der "vermeintlich linken Regierung" schwere Zeiten erlebt habe. Weder für die Sans Papiers noch für die anderen sozialen Bewegungen sei etwas getan worden. Jetzt, seitdem die rechte Regierung wieder an der Macht ist - registriert die Autorin zufrieden - habe die französische Bewegung wieder neuen Schwung und sei dabei, erneut großen sozialen Einfluss zu gewinnen. Nach Cissés Ansicht ist das auch bitter nötig, denn "sowohl die rechte als auch die linke Regierung waren sich einig, dass wir zu viele sind, versuchten uns zu spalten. In deren Augen gibt es gute Immigranten, die man integrieren und böse, die man rausschmeißen will". Regierungen aller Couleur hätten stets versucht, die Sans Papiers zu Sündenböcken zu stempeln: "Egal ob Arbeitslosigkeit, Armut oder Wohnungsnot, an allen von der Regierung ungelösten Problemen sollten immer wir schuld sein." Aufgrund dessen sei es wichtig gewesen, das Wort selbst zu ergreifen, in Fernsehinterviews, Zeitungen und Rundfunk: "So konnten die Franzosen entdecken, dass wir ganz normale Frauen, Männer und Kinder und keine Banditen sind." Doch jetzt will die Senegalesin, die in ihrem Buch teils auch autobiographisch die eigene Geschichte erzählt, mehr: "Alle Leute in Europa sollen an der Debatte teilnehmen. Wir haben vor sechs Jahren angefangen, aber die Debatte ist noch brandaktuell", sagte sie gestern Abend den rund 60 Zuhörern in der Katharinenkirche an der Hauptwache bei einer Veranstaltung der "Gegen Buch Masse": "Wir müssen erklären, dass es um mehr geht, als um die Rechte von Immigranten. Damit die Europäer sich beteiligt fühlen." Jedem müsse schließlich klar sein: "Es geht um Demokratie und Menschenrechte. Wenn wir nicht alle aktiv dafür einstehen, könnten wir die nächsten sein, deren Persönlichkeitsrechte beschnitten, die gejagt und gedemütigt werden." Nur mit einer breiten Bewegung seien Erfolge möglich, so Cissès Erfahrung: "Schüler, Studenten, Arbeiter, Gewerkschafter, Erwerbs- und Obdachlose, Feministinnen und Illegalisierte, Leute von Attac und anderen Organisationen, müssen solidarisch zusammen stehen und miteinander auf die Straße gehen." In Frankreich bewege sich derzeit einiges: "Über 80000 Menschen waren in Paris auf der Straße, gegen die Privatisierung von Wasser und Strom. Die Sans Papiers halten seit zwei Monaten die ,Basilique’ im Stadtviertel Saint Denis, besetzt - wo französische Könige begraben liegen."
Autorin: Gitta Düperthal
Frankfurter Rundschau vom 05.10.2002
Der Bücherberg soll sie nicht unter sich begraben
"Gegen Buch Masse" bietet Forum für linke Gedanken
Auch in diesem Jahr finden zur offiziellen größten Bücherschau der Welt Alternativveranstaltungen statt, so die "Gegen Buch Masse". "Jedes Jahr wird auf der Frankfurter Buchmesse tonnenweise frisch gedrucktes Papier präsentiert. Wir wollen linken Autorinnen und Verlagen ein Forum für kritische Gedanken bieten", heißt es in der Presseankündigung der "Gegen Buch Masse". Die Veranstaltungsreihe sei jedoch keineswegs als "gegen die Buchmesse gerichtet" zu verstehen, vielmehr als "zielgerichtete Vorstellung linker Bücher, damit diese nicht in der breiten Masse untergehen", erläutert Paul Schmidt, Sprecher des Initiativkreises Gegen Buch Masse. In Zusammenarbeit mit dem Team des Infoladens (eines politischen Szene-Treffpunkts im Café Exzess, in der Leipziger Straße 91) plant der Initiativkreis seit 1996 alljährlich Veranstaltungen parallel zur Buchmesse: Zu Anfang habe man Verlagen sowie Autorinnen und Autoren hinterher laufen müssen, um sie zu einer Diskussionsveranstaltung oder Lesung zu bewegen. "Mittlerweile gibt es viele Anfragen, unter denen die Veranstalter auswählen", so Schmidt. "Wir, die Veranstalter, sind eine Gruppe von zehn Leuten zwischen 30 und 45 Jahren: Jenseits von SPD und den Grünen, engagiert in der Bewegung der Globalisierungskritiker, der Antifa-Arbeit oder den antirassistischen Grenzcamps". Die inhaltlichen Kriterien für die Programmauswahl: "Wir interessieren uns für aktuell politische Sujets. Es geht uns darum, ein breites Publikum anzusprechen, nicht nur jene, die sich bereits engagieren. Wir wollen Bewegungen anzuregen, insbesondere jene, die einzuschlafen drohen." Der Flughafenausbau sei etwa ein typisches Beispiel: Am Mittwoch, 9. Oktober, startet die Veranstaltungsreihe Gegen Buch Masse um 20 Uhr im Café Exzess mit einer Veranstaltung mit Michael Wilk und Rolf Engelke, Autoren des Sammelbandes "Turbulenzen - Widerstand gegen den Ausbau des Rhein-Main-Flughafens". "Mit unseren bescheidenen Mitteln wollen wir dazu beitragen, solch wichtige Themen öffentlich zu diskutieren", so der Sprecher des Initiativkreises. Parallel dazu findet im Dritte-Welt-Haus, Falkstraße 74, ebenfalls um 20 Uhr am 9. Oktober, eine Veranstaltung statt, die sich unter dem Titel "Va banque! Bankraub, Theorie Geschichte Praxis" augenzwinkernd an all jene wendet, die "an akuter Geldnot" leiden. Zum Auftakt der Reihe wird zudem am Mittwoch um 19.30 Uhr im Café Koz (auf dem Campus der Uni) der internationale Sprecher von Attac Frankreich, Christophe Aguiton, sein Buch "Was bewegt die Kritiker der Globalisierung? Von Attac zu Via Campesina" (Neuer ISP-Verlag) vorstellen. Am Donnerstag, 10. Oktober, liest Autor Dimitri Todorov aus seiner Autobiographie eines Lebenslänglichen "22 Jahre Knast" um 20 Uhr im Dritte-Welt-Haus. "Tatort Stadion - Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus im Fußball", eine weitere Veranstaltung, am Donnerstag, um 20 Uhr, in der Au 14 bis 16 in Rödelheim. Es referieren der Herausgeber des im Pappyrossa-Verlag erschienenen Buchs, Gerd Dembowski, sowie Antje Hagel vom Fanprojekt Offenbach. "Braune Schwestern - Rechte Frauen zwischen Propaganda und Identität": Bei dieser Veranstaltung am 10. Oktober im Café Exzess, im Rahmen der Frauen-Lesbenkneipe um 20 Uhr veranstaltet, heißt es für Männer: Wir müssen leider draußen bleiben. 1996 wurde in Paris die erste Kirche besetzt und die Bewegung der Sans Papiers breitete sich in kürzester Zeit in ganz Frankreich aus. Die Organisatoren der Gegen Buch Masse freuen sich, am Freitag, 11. Oktober, Madjiguène Cisse, die Wortführerin der Bewegung, die 1998 die Carl-von-Ossietzky-Medaille von der Internationalen Liga für Menschenrechte verliehen bekam, zu begrüßen. "Papiere für alle", so der Titel ihrer politischen Chronologie über den Kampf der Illegalisierten für gleiche Rechte im neuen Europa. Veranstaltungsort: die Katharinenkirche an der Hauptwache, Beginn: 20 Uhr. Karl Grobe-Hagel, Mitarbeiter der Frankfurter Rundschau, präsentiert im Dritte-Welt-Haus ebenfalls am Freitag um 19.30 Uhr sein Buch "Krieg gegen Terror? - El Qaeda, Afghanistan und der ,Kreuzzug’", erschienen im Neuen ISP-Verlag. Am selben Abend, im Exzess um 20 Uhr, wird Jürgen Heiser vom Atlantik Verlag Bremen sein Buch "Das Bush-Imperium" zur Debatte stellen. Wer Satire mag, ist am Samstag, 12. Oktober, um 18 Uhr, im Exzess gut aufgehoben. Autor Ze do Rock präsentiert eine literarische Performance in der von ihm eigens geprägten Kunstsprache "Deutsch gutt sonst Geld zurück". Danach, um 20 Uhr, geht es hier um "Ästhetische Mobilmachung - Dark-Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien". Anschließend ist ein Dark-Wave-Kneipenabend mit Musik, Getränken und Überraschungen geplant. Am Sonntag, 13. Oktober, 18 Uhr, liest Peter O. Chotjewitz aus seinem Roman "Als würdet ihr leben" (Rotbuch Verlag) im Exzess. Danach, ab 20 Uhr, gibt es einen kurzen Vortrag zum Thema "Islam und Islamismus aus friedenspolitischer Perspektive" mit vermutlich sehr kontroverser Diskussion. Im Dritte-Welt-Haus wird es am Sonntag, 20 Uhr, um "Gewalt in der Neuen Weltordnung" gehen; Vorbemerkungen von Rudolf Walther (Publizist), Thomas Gebauer (Medico international) und Joachim Hirsch (Uni Frankfurt). Die Reihe endet mit zwei Veranstaltungen zum Krieg: Am Mittwoch, 16. Oktober, 20 Uhr, geht es um Israel und Palästina. Grundlage ist der in der Trotzdem Verlagsgenossenschaft erschienene Sammelband "Gefangen zwischen Terror und Krieg?". Und am Donnerstag stellt Wolf Wetzel sein Buch "Krieg ist Frieden - Über Bagdad, Srebrenica, Genua und Kabul" vor.
Autorin: Gitta Düperthal
Artikel in FR 18.10.2001
Aufschlussreicher Systemvergleich aus eigenwilliger Perspektive
Treue Anhänger huldigten bei der Gegenbuchmesse dem jung gestorbene Kultautor Ronald M. Schernikau
FRANKFURT A. M. Schernikau ist Kult. Soviel ist klar. Der 1960 in Magdeburg geborene und mit 31 Jahren an Aids verstorbene Schriftsteller, der in Hannover aufwuchs und 1980 nach Westberlin zog, siedelte wenig später in die DDR über. Mit seinem Roman "Legende" zog er eine Szene von Schwulen, Träumern, Utopisten und sonstigen Freigeistern in den Bann. Wie von Kritikern prophezeit, versammelten sich bald auch in Frankfurt Lesegruppen um dieses opulente Werk, die des Autors fieberhafte Suche nach Glück, Liebe und einer besseren Gesellschaftsordnung wissbegierig begleiteten. Resultat: Letztes Jahr im Rahmen der "Gegenbuchmasse" war das Cafe "Profitratte" in der Fachhochschule zur Schernikau-Lesung brechend voll.
Als zum Auftakt Marianne Rosenbergs Schlager "Amerika" erklang, wippte Schernikaus Mutter vorn am Lesepult begeistert mit den Füßen. Zur Lesung des pünktlich zur diesjährigen Buchmesse im Konkret Literatur Verlag erschienenen Essays "Die Tage in L." versammelte sich wieder eine getreue Fan-Gemeinde. Diesmal allerdings in einem Vorlesungssaal der Fachhochschule, dessen kalte Atmosphäre sogleich moniert wurde. In der Pause wurde dann im Saal trotzig protestgeraucht.
Dem Autor würde dies zweifellos gefallen haben, bestehen doch seine Werke einerseits aus fast intimen, sehr subjektiven Bekenntnissen unmittelbarer Liebeserfahrungen und andererseits aus kenntnisreicher und theoretisch solide untermauerter Gesellschaftskritik. Sinnliches Erleben und rationale Betrachtungen im ständigen Wechsel. Es geht sowohl um dezidierte Kritik am Spätkapitalismus, in dem Bücher mit einer sechsstelligen Auflage schlampig, nachlässig und mit schleichender Publikumsverachtung geschrieben würden, als auch um den schönen Uwe, der zwar zur Sexualität erst überredet werden muss, dann aber stürmisch und selbstvergessen sei. Und Uwe, so erfahren wir, "ist die DDR". Der Schauspieler Thomas Keck hatte - wie in seiner ausdrucksstarken Lesung unmissverständlich zu erkennen war - in Schernikaus essayistischem Werk nach Passagen und Episoden gefahndet, die sowohl die sinnliche Suche des Autors nach Liebe und menschlicher Wärme widerspiegeln als auch dessen radikale Analyse kapitalistischer Verhältnisse.
Schernikau schreibt, seiner Zeit weit voraus, in "Die Tage in L." darüber, dass "die DDR und die BRD sich niemals verständigen können, geschweige denn mittels ihrer Literatur". Er gibt auf seine unverwechselbare Art mit historischem Weitblick den Blick frei auf die verlogene Form scheinharmonischer Wiedervereinigung. Obgleich diese zum Zeitpunkt, als er sein Buch schrieb, noch gar nicht vollzogen war. Ein Versuch, die literarische Vielfältigkeit des Autors in eine pointierte These zusammenzufassen, muss zwangläufig scheitern. Keck versucht es trotzdem: "Die DDR ist richtig, war auf dem Weg zu Veränderungen". In Schernikaus Essay sind schwärmerische Momentaufnahmen über den untergegangenen deutschen Staat zu finden: "Man gibt sich hier die Hand zur Begrüßung, auch junge Leute, man grüßt im Hausflur, und ich ertappe mich, in Westberlin unangemessen freundlich zu sein, ich verzeihe es mir nicht." In anderen Passagen kritisiert er jedoch politische Verdrängung, Verschweigen von Realitäten, straffe Hierarchien. Sein Bild der BRD wird hingegen deutlich, wenn er die stillschweigende Vereinbarung der Bildzeitung mit ihren Lesern genüsslich beschreibt. Seitens Bild laute diese, so schreibt er, "Wir lügen". Und seitens der Leser: "Wir glauben euch nicht". Auf diese Weise habe alles seine Ordnung. Solch sarkastische Konklusionen - typisch für Schernikau. Diese und andere Weisheiten sorgen für Diskussionsstoff.
Schernikau ist brandaktuell, ein soziokulturell aufschlussreicher Systemvergleich aus erfrischend eigenwilliger und unangepasster Perspektive betrachtet.
Autorin: Gitta Düperthal
Frankfurter Rundschau vom 23.10.2000
Geklautes Trinkgeld für die Polizei
Ein Buch beschäftigt sich mit Geschichte, Theorie und Praxis des Bankraubs
"Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank": Von welchem großen Denker stammt dies geflügelte Wort bloß? Karl Marx, Hermann Josef Abs, ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bank, oder Bert Brecht? Bevor der Kulturwissenschaftler und Historiker Klaus Schönberger in einen Tresor griff und sein Buch mit dem Titel VaBanque – Bankraub. Theorie. Praxis. Geschichte" herausholte, schwitzte das Publikum über einem Multiple-Choice-Test. Hierfür war Allgemeinbildung nötig: Man sollte schon wissen, dass die "Bewegung 2. Juni" bei ihren Banküberfällen nicht saure Drops und auch keine Bananen verteilte, um die Bank-Kunden zu beruhigen, sondern Schokoküsse. Im Rahmen der Veranstaltung "Gegen Buch Masse" tagte in Offenbach im Rotari eine lustvoll-anarchische Gemeinschaft, die – wohl weil der Bankraub ein männliches Geschäft ist, wie Schönberger erörterte, nur 4,8 Prozent Täterinnen seien in die Polizeistatistik eingegangen – an der Bar nur mit harten Drinks bedient wurde. Zunächst wurde ein Film aus "Aspekte" (ZDF) gezeigt, der nicht nur das Buch äußerst freundlich ankündigte, sondern sich auch dessen Sujet mit viel Sympathie annahm. Beim ZDF plädierte man für die höfliche Variante des Bankraubs. Hektische Panikmache sei "total out". Stattdessen gab es Ratschläge: Man möge, als Freund und Helfer verkleidet, die Bankklientel auffordern, sich nicht zu rühren, bis die "Kollegen" kommen – und diesen dann ein großzügiges Trinkgeld hinterlassen. Solcherart vom Fernsehen geadelt, begrüßte Schönberger gut gelaunt "die lieben Freundinnen und Freunde des Bankraubs" und wies auf den guten Zweck der Veranstaltung hin: "Die Tatsache, dass so Viele hier sind, macht die Banken in Offenbach heute Abend sicher." Dann gab es jede Menge zu lernen, was in der mit fröhlicher Indifferenz angelegten Anthologie Va Banque nachzulesen ist: Etwa, dass die Frage "Warum raubt jemand eine Bank aus?" falsch gestellt sei, vielmehr müsse es heißen: "Warum stehlen so viele Menschen nicht?" Schließlich würden in der bürgerlichen Gesellschaft stetig Bedürfnisse geweckt, deren Befriedigung den meisten versagt bleibe. Katharina Kinder, eine Autorin des Buchs, saß locker auf einem Barhocker, und verkündete im Nachrichtenstil Sorgen der Wiener Polizei: Zunehmend müsse man sich mit rechtschaffenen Bürgern auseinandersetzen. Und als "Mc Orgelmüller" zum Abschluss leidenschaftlich bei Bernie Lees und Trickys Rocknummer Product of the environment – was soviel heißt wie "Opfer der Umstände" – mitsang, und den "Timbuk 3"-Hit Bankrubber pries, bei dem der Sänger so herrlich unverständlich ins Mikro rotzt, war "echt gute Stimmung", wie man in der Szene so sagt. "Va Banque", Hg: Klaus Schönberger, Verlag Libertäre Assoziation und Verlag der Buchläden Schwarze Risse Berlin.
Autorin: Gitta Düperthal
Frankfurter Rundschau vom 13.10.1999
Infoladen im ExZess. "Gegenbuchmasse" contra Buchmesse.
Ein Roman aus dem revolutionären El Salvador, ein Buch über Plakate autonomer Bewegungen, oder eine Abrechnung mit dem Dalai Lama? "Gegenbuchmasse" hat der Infoladen eine Veranstaltungsreihe genannt, in der sich Verlage und Autoren "aus dem linken Spektrum" abseits der Buchmesse präsentieren. Der Infoladen ist Teil des selbstverwalteten Zentrums "ExZess" und organisiert die "Gegenbuchmasse" gemeinsam mit dem Dritte Welt Haus. Gegen die Messe habe man aber nichts, so Paul Schmidt vom Infoladen-Team. Schließlich seien viele der eingeladenen Autoren selbst auf der Buchmesse. Es sei eher die "Bücherflut, die über uns hereinbricht", gegen die man ein kleines ausgewähltes Programm setzen wolle. Ein "Forum für kritische Gedanken", mit viel Zeit nach den Lesungen, zum Nachfragen und Diskutieren. Mit der Vorstellung eines Buchs über mexikanische Armuts-Flüchtlinge beginnt die Reihe am heutigen Mittwoch um 20 Uhr im ExZess, Leipziger Straße 91 in Bockenheim. In "Nach Norden" schildern die Autoren Boris Kanzleiter und Dario Azzellini, wie Tausende von Mexikanern täglich versuchen, die scharf bewachte Grenze in die USA zu überqueren. Um die Hintergründe der mörderischen Auseinandersetzungen in Kolumbien geht es bei der Präsentation des Buchs "Kolumbien - Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung". Der Autor Raul Zelik zeichnet die Geschichte des Krieges gegen die Zivilbevölkerung nach (Donnerstag, 14. Oktober, 20 Uhr, Dritte Welt Haus, Falkstraße 74.) Eine kritische Betrachtung des Dalai Lama und seines Aufstiegs zum Medienstar und Liebling der Esoterik-Szene präsentiert der Wissenschaftsjournalist Colin Goldner mit dem Buch "Dalai Lama - Fall eines Gottkönigs" - am Freitag, 15. Oktober, 20 Uhr, im ExZess. "Perspektiven linker Kommunikation" nach dem Kosovo-Krieg ist Thema einer Diskussion am Samstag, 16. Oktober, 20 Uhr, im ExZess. 600 Plakate autonomer Bewegungen versammelt das Buch mit dem etwas kryptischen Titel "hoch die kampf dem". Mit einer Diavorführung werden zwanzig Jahre autonomer Geschichte aufgerollt - am Sonntag, 17. Oktober, 20 Uhr, ExZess. In "Cuzcatlan" von Manlio Argueta wird das Leben dreier Generationen einer Bauernfamilie aus El Salvador erzählt sowie die einer Gewerkschaftsaktivistin, die im Untergrund lebt. Termin: Dienstag, 19. Oktober, 20.30, Dritte Welt Haus. thie